Wilhelm Voßkuhl - geb. 13. Mai 1913

Viele Männer und Frauen in meinem Alter haben ihren Lebenslauf zu Papier gebracht, um ihren Kindern und Enkeln etwas von ihrem Leben zu erhalten. Auch ich will versuchen, mein Leben zu Papier zu bringen um auch meinen Nachkommen etwas Schriftliches zu hinterlassen. Es ist für mich nicht so leicht, alles genau wiederzugeben. Aber ist man erst einmal angefangen zu schreiben, wundert man sich, was einem doch alles noch so einfällt. Durch intensives Nachdenken ist es so vielleicht doch möglich, für viele meiner Nachkommen meine Erlebnisse zu erhalten und ich hoffe, daß sie mit Interesse lesen, was ihr Vater bzw. Opa im Leben so alles mitgemacht hat. Ob Freude oder Leid von allem möchte ich schreiben.

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Begonnen hat mein Leben im Jahre 1913. Ich wurde am 13. Mai in Gladbeck geboren und am 17. Mai 1913 getauft. Meinen Taufgeistlichen, Herrn Tensundern, der damals Kaplan in Gladbeck war, habe ich hier in Nordwalde nach 60 Jahren wiedergetroffen.

Meine Eltern waren August und Ariha Voßkuhl geb. Höfte, beide in Greven geboren. Meine um ein Jahr ältere Schwester Fine wurde im Februar 1912 auch in Gladbeck geboren. Wir wohnten in Gladbeck im Hause Romert. Die Wohnung war oben. Ich kann mich noch entsinnen, die Treppe nach oben war sehr steil. Mein Vater kam schwer verwundet aus dem Krieg zurück und konnte die Treppe kaum bewältigen.

Papa hatte als Kürassier in Münster 3 Jahre gedient. Als Soldat im Krieg war er Geschützfahrer mit vier Pferden. In den Karpaten ist er mit seinem Geschützfuhrwerk in den Bergen verunglückt. Es war an einem steilen Bergabhang. Das Fuhrwerk geriet außer Kontrolle und wollte den Berg herunter rutschen. Mein Vater hat versucht, das Gefährt aufzuhalten, was ihm aber nicht gelang. Er geriet dabei zwischen Felswand und die Räder des Fuhrwerkes. Er wurde eingeklemmt und hatte dadurch eine schwere Verletzung in der Magengegend.

Seitdem trug er vor dem Bauch eine Metallplatte und war dadurch 75 % kriegsbeschädigt. Ich möchte auch erwähnen, daß im Juli 1914 der erste Weltkrieg angefangen hat. Von da an begann für uns alle in Deutschland eine schwere Zeit. Die Lebensmittel wurden immer knapper. Ich kam in ein Alter, wo ich schon vieles zur Kenntnis nahm, was so um mich herum passierte. In Westerholt wohnte die Schwester meines Vaters. Wir sind so gut wie unser Papa es konnte zu Fuß dort hingegangen. Es ging immer an einem Bach entlang. Es war eine Freude für mich, dort Papier- und Holzstücke hineinzuwerfen, um dann hinterherzusehen wie sie schnell den Bach hinunterschwammen. Mit den Nachbarkindern hatten wir guten Kontakt. Es gab ja auch sehr viel in der Nähe zu sehen. Da war der Bahnhof Gladbeck-West und die Zeche Möllersschächte, wo auch unser Vater vor dem Krieg gearbeitet hatte. Als Kind habe ich schon in Gladbeck die ersten Flugzeuge gesehen. Auch die ersten Zeppeline kreisten am Himmel.

Aber auch die Not im Industriegebiet nahm immer mehr zu. Meine Eltern trugen sich mit dem Gedanken aus dem Industriegebiet abzuziehen, denn sie waren vom Lande. Die Arbeit auf der Zeche konnte Vater wegen seiner Kriegsverletzung nicht wieder aufnehmen. Er hatte sich eine Stelle gesucht, um das Holzschuhmacherhandwerk zu erlernen. Er war ein paar Jahre im Fach tätig und meinte dann, er könnte sich selbständig machen. Als nun im Jahre 1917 ein Haus mit einem Stück Land in Altenberge angeboten wurde, hat er sich entschlossen, es zu kaufen. Der Kauf ist durch seinen Vetter Schultjann, der Arzt in Gladbeck war, und dessen Bruder Bernhard zustande gekommen. Meine Eltern haben das Haus in Westenfeld, welches im Rohbau stand, für 4.400 Goldmark gekauft. Um es nun richtig fertigzustellen, mußten mein Vater und meine Mutter noch sehr oft zum Arbeiten dort hin. Sie fuhren zuerst meistens nach Greven, um von dort aus zu Fuß nach Westenfeld zu gehen.

Aus dieser Zeit möchte ich einiges erzählen:

Papa war von Gladbeck über Dürsten und Burgsteinfurt mit dem Zug nach Nordwalde Bahnhof gefahren. Mama, meine Schwester Fine und ich zu meinen Großeltern nach Greven. Von dort gingen wir dann über Nordwalde nach Westenfeld. Wir hatten einen Sportwagen mit, der auch als Kinderwagen herhalten mußte. Von Mutters Elternhaus waren wir schon ein ganzes Stück entfernt, als Mama auf einmal feststellte, daß sie ihre Tasche dort vergessen hatte. Also wurden Fine und ich mit dem vollbeladenen Kinderwagen den Straßenarbeitern übergeben, bis Mama wieder zurück war. Es war in der Näh, wo heute das Hotel Wermelt-Lengermann steht. Nach einer knappen Stunde hatten wir unsere Mutter wieder. Sie bedankte sich bei den Straßenwärtern, von denen sie einen kannte. Dann ging es zu Fuß weiter nach Westenfeld. In dem neuen Haus war noch vieles zu erledigen. Vater hatte schon viel getan, als wir mittags ankamen. Zuerst wurde gegessen. Nach dem Essen nahm auch Mama eine Schaufel, um den vielen Dreck und Schutt aus den Zimmern zu räumen. Mein Vater hatte für uns eine Schlafstätte eingerichtet. Somit konnten wir des Nachts zum Schlafen auf der Baustelle bleiben. Da es mitten im Sommer war, war dieses möglich. Fine und ich hatten schon bald gute Beziehungen zu den Nachbarkindern Janning. Zuerst wollten sie nicht viel von uns wissen, denn wir sprachen nur hochdeutsch. Sie aber konnten nur plattdeutsch reden. In den späteren Jahren hat sich das schnell geändert. Wir waren am Anfang in deren Augen nur das "bergische Volk", obschon meine Eltern gebürtig aus Greven kamen und Vaters Vetter Schultjann in der Nähe wohnte. Im Oktober 1917 war es soweit, unser Haus war fertig. Nun wurde umgezogen. In Gladbeck begann nun die Hektik meiner Eltern, um alles verladen zu können. Es war Krieg, und es mußte bei der Bahn ein Waggon bestellt werden. Als dieser endlich zur Verfügung stand, wurde schnell alles verladen. Ein Bauer aus unserer Nähe kam mit Pferd und Wagen und so ging es zügig voran.

Wir Kinder wollten natürlich auch auf dem Pferdewagen zum Bahnhof Gladbeck-West mitfahren. Die Nachbarn und Onkel Heinrich, Papas Bruder, der in Gladbeck wohnte, haben kräftig mitgeholfen. Als nun alles verladen war, wurde Abschied von allen Verwandten, Bekannten und Nachbarn in Gladbeck genommen.

Mama, Fine und ich sind mit dem Zug nach Greven gefahren, und haben dort gewartet, bis der Waggon mit unserem Hab und Gut in Nordwalde ankam. Papa ist von Gladbeck aus im Waggon mitgefahren, damit nichts gestohlen wurde. Es war Krieg und alles was nicht niet- und nagelfest war, wurde geklaut. Trotzdem wurde auch unser Waggon aufgebrochen und beklaut. Das ganze Porzellan war weg. Wir hatten keinen Teller und keine Tasse mehr. Dabei hatte der Bahnhofsvorsteher zu meinem Vater gesagt, er brauchte nicht bei den Sachen zu bleiben, denn hier in Nordwalde gebe es nur ehrliche Menschen.

Vom Bahnhof Nordwalde mußten die Möbel zum neuen Haus gebracht werden. Papa hatte bei unserem Nachbarn Pferde und Wagen bestellt. Sie sind mit den Fuhrwerken ein paar mal hin- und hergefahren, bis alles im neuen Haus war.

Alsbald hatte unser Papa eine neue Werkstatt und fing an Holzschuhe zu fertigen. Nun ging es auch darum, wo bekommen wir Milch und etwas zu Essen her. Lutte, unser Nachbar, hatte keine Milch für uns. Zum Glück wohnte Papas Cousine, Frau Overhageböck, in der Nähe. Fine und ich gingen jeden Tag und holten unsere Milch von dort. Ich kann mich noch erinnern, wie naß es im Herbst 1917 war. Auf dem Heitkamp, wo wir zum Milch holen vorbeikamen, standen die Hafergasten noch und saßen voller Mäuse. Unser neues Haus war auch sehr naß. Es hatte lange still gelegen und es war kaum Material zum Heizen vorhanden.

Unsere Fine kam am 1. April 1918 in der Feldbauerschaft zur Schule und ich wurde krank. Lungenentzündung, Grippe, Rippenfellentzündung, ich war sterbenskrank. Jeden Tag kam Dr. Hönninghaus aus Altenberge. Er kam mit dem Gig mit einem Pferd davor.

Als die Sonne höher stieg, ging es mir wieder besser. Im Sommer und vor allem im Herbst gab es bei uns auf der Hauptstraße viel zu sehen. Der Krieg war zu Ende und täglich kamen Soldaten mit Pferden und Fuhrwerken vorbei. Aus Freude, daß der Krieg vorbei war, schossen sie Leuchtraketen in die Höhe. So verging ein Tag nach dem anderen. Bei den Nachbarn hatte sich die anfängliche Abneigung gegen uns gelegt und somit konnten wir schon zusammen spielen. Das Weite, die großen Felder und Wälder waren Fine und ich gar nicht gewohnt. Durch unsere Nachbarkinder lernten wir alles kennen. In Luttes Weiden wurden Fußball, Fangen und vieles mehr gespielt. Im Winter waren in den großen Wiesen große Wasserflächen zugefroren. Das Schliddern in Holzschuhen war ein großes Vergnügen für uns.

Am 1. April 1919 kam ich ebenfalls in die Schule. Wir Westenfelder mußten in die Feldbauernschule. Aus Westenfeld waren wir ca. 40 Schüler. Von uns bis zur Schule waren es über vier Kilometer. Bei schlechtem Wetter gingen wir über die Kreuzstraße, sonst ging es durch die Bauerschaft.

Die ersten Schuljahre waren für mich sehr anstrengend. Es kam wohl von meiner langen Krankheit. Jeden Tag in Holzschuhen den Weg zur Schule und zurück. Das Lernen machte mir nicht viel aus. Mit 10 Jahren wurden wir zur Beichte und Kommunion vorbereitet. Es war Pastor Beckermann, der uns den Unterricht gab. Als wir zur Kommunion gekommen waren, mußten wir jeden Sonntag in die Messe und nachmittags in die Christenlehre. Wie müde waren wir Sonntagabend, zweimal am Tag zur Kirche und zurück, das waren zusammen 20 Kilometer. In der heutigen Zeit reagiert sich die Jugend mit Sport ab. Zu diesem Thema könnte ich in Einzelheiten noch viel schreiben. Die ersten Jahre in Westenfeld an der Hauptstraße sah man nur ab und zu ein Auto fahren. Trotzdem wurden wir Kinder immer darauf hingewiesen, daß in vielen Autos keine guten Menschen saßen. So machten wir um jedes Auto, was am Straßenrand stand oder verunglückt war, einen großen Bogen.

Wir wohnten nun schon ein paar Jahre in Westenfeld. Mein Vater hatte Hermann Stets als Gesellen und Viktor Kreft als Lehrling zum Holzschuhmachen eingestellt. Das Geschäft lief gut. Wir Kinder haben die Holzschuhe mit dem Bollerwagen zum Verkauf nach Münster gebracht. Mein Vater brachte uns den Wagen schwer bepackt bis zur Kreuzstraße und auch unser Mittagessen. Von da gingen Fine und ich mit dem beladenen Wagen gleich nach der Schule nach Münster. Wir lieferten die Holzschuhe in einem Geschäft am Hindenburgplatz ab. Die Holzschuhe kosteten damals je nach Größe 0,80 RM bis 1,30 RM. Gegen Abend, um ca. 21 bis 22 Uhr waren wir müde wieder zu Hause. Auf dem Rückweg wurde auf dem Bollerwagen gelernt. Einer von uns saß und lernte, der andere zog den Wagen. Dabei wechselten wir uns ab. Mein Vater war auch durch und durch Landwirt. Wir waren noch nicht lange in Westenfeld, da hatten wir eine Ziege und zwei Schafe. Sie wurden überall dort, wo nur ein wenig Gras zu finden war, angepflockt und somit hatten wir eigene Milch und brauchten keine mehr von Overhageböck zu holen. Auch hatten wir Schweine und konnten selbst schlachten.

Zusätzlich hatte Vater von Lutte den Heitkamp gepachtet. Eine breite Hecke mußte ausgerottet werden. Wir Kinder haben mit Begeisterung mitgeholfen. Auf dem gerodeten Land wurden Kartoffeln angepflanzt. Im Herbst hatten wir einen außergewöhnlichen Ertrag. Unsere Oma aus Greven war gekommen und half uns bei der Kartoffelernte. Meine Schwester Fine und ich mußten die Kartoffeln aufsuchen. Mit Schippkarre oder Handwagen wurden die Kartoffeln abends nach Hause gebracht.

Am 28. Juni 1920 wurde mein Bruder Bernhard geboren. Mama hatte nun noch mehr Arbeit. Haushalt, Garten, das Vieh und unseren kleinen Bruder. Papa war in der Werkstatt voll beschäftigt. Mit 10 Jahren mußte ich auch schon mithelfen; Holzschuhe auskanten und zusammenbinden.

Am 26. Mai 1922 kam meine Schwester Hanni auf die Welt. Nun mußte ich auch des öfteren mit Holz sägen helfen. Die dicken Abschnitte wurden mit der Schippkarre auf die Tenne gefahren. Auf der Tenne wurden die Klötze dann gespalten, um Holzschuhe daraus zu machen.

1922 ging es langsam los mit der Geldentwertung. Papa war sehr bemüht, alle Schulden, die wir auf dem Haus hatten, zu bezahlen. Wir waren eine fleißige Familie und haben es frühzeitig geschafft. Das Geld wurde immer weniger wert. Im Handel ging es nur noch gegen Tausch. Papa war zu der Zeit schwer krank, somit mußte ich für ihn an der Post in Altenberge seine Kriegsrente abholen. Es war eine Tasche voll Papiergeld und schon am nächsten Tag war es nichts mehr wert. Nicht einmal ein Paket Salz konnte man dafür bekommen.

Viehhändler Heimann aus Borghorst kam des öfteren zu uns. Er meinte, wir sollten uns doch nicht noch länger mit Ziegen und Schafen herumquälen. Wir sollten uns eine Kuh anschaffen. Nach ein paar Tagen hatte er das passende Rind gefunden. Als Gegenleistung wollte er von uns die Schafe, Ziegen und das Schwein. Es war für uns ein günstiges Angebot. Papa hat dem Tausch zugestimmt und nun hatten wir eine Kuh im Stall. Das Rind war hochtragend und bekam innerhalb von zwei Tagen ein Kalb. Wir gaben unserer Kuh den Namen "Heärtken". Sie wurde von uns allen gehegt und gut versorgt. Sie hat uns sehr viel Milch gegeben und war auch sehr brav. Auch als Zugtier für unseren Wagen konnten wir sie gebrauchen. Nur mußten wir jetzt auch noch für sie Futter besorgen. Auf Weiden oder an Straßen entlang wurde unsere Heärtken gehütet. Ich bin sogar auf ihrem Rücken zu Schapmann geritten und habe dort auf den Kleewiesen die Kühe gehütet. Die Schulsachen wurden natürlich mitgenommen. Wenn ich abends mit der Kuh nach Hause kam, war ich so müde, daß ich gleich nach dem Essen ins Bett fiel. Dann noch Schularbeiten machen konnte ich nicht mehr.

Meine Schwester Elli ist im März 1925 geboren. Sie erlernte später das Schneiderhandwerk.

Am 06. Juni 1926 wurde mein Bruder Ludger geboren. Wenn ich heute so zurückdenke, wie unsere Mutter mit der vielen Arbeit fertig geworden ist, wundere ich mich.

Nun möchte ich auch einen Eindruck geben, wie es mir in der Schule ergangen ist. Ich habe ja bereits kurz erwähnt, daß ich am 1. April 1919 in der Feldbauerschaft zur Schule kam. Mein Lehrer hieß Herr Baumgarten. Er war Kriegsversehrter und kam gebürtig aus Schlesien. Er war der einzige Lehrer für die ganze Schule. Er mußte 130 Kinder unterrichten. Die ersten Jahrgänge wurden je nach Bedarf von den älteren Schülern unterrichtet. Schon lange war man damit zugange, daß Altenberge-Westenfeld eine eigene Schule bekam.

In den Jahren 1923, 1924 und Anfang 1925 durften wir tagelang die Schule in der Feldbauerschaft als Westenfelder nicht betreten. Die Gemeinde Nordwalde wollte damit Druck auf die Regierung in Münster ausüben. Die Bauerschaft Westenfeld gehörte nämlich zur Gemeinde Altenberge. Diese sollte in Westenfeld eine eigene Schule errichten.

Als nun 1924 Schulze Westerhoff ein Grundstück zum Schulneubau bereitstellte, war es soweit. Es konnte mit dem Bau begonnen werden. Durch viel Eigenleistung der Bewohner konnten wir die Schule am 1. April 1925 eröffnen. In der Feldbauerschaft gab es eine Erleichterung. Der Weg zur neuen Schule war aber für uns nicht näher als sonst. Unser neuer Lehrer in Westenfeld hieß Herr Bickmann. Er war vorher Lehrer im Dorf Altenberge gewesen.

Am 1. April 1927 wurde ich aus der Schule entlassen. Mit meinem Entlassungszeugnis war ich sehr zufrieden. Aber nun ging es darum ein Lehrstelle zu finden. Ich wollte so gern Schlosser oder Maurer werden. Aber meine Eltern meinten, ich sollte zum Bauern, denn ich war ziemlich schwach und die Bauern hatten immer etwas zu essen. Im Winter könnte ich dann zu Hause beim Holzschuhmachen helfen. So kam ich nach der Schule ein halbes Jahr zu Schapmann in Wilmsberg. Dort habe ich es gut gehabt. Früh aufstehen war ich ja gewohnt. Als junger Mann habe ich in der Landwirtschaft vieles gelernt.

1928 war ich ein ganzes Jahr zu Hause. Vater und ich haben sehr viele Holzschuhe gemacht. Nebenbei habe ich für Lutte oder für die Sägemühle Rolier und Höffker Eichen geschlagen. Der Winter 1928 war wohl der kälteste, den ich je erlebt habe. Auf dem Hügel in Altenberge war es um die Fastenzeit mitunter um die 28 Grad minus. Wir hatten einen Benzolmotor, den gebrauchten wir zum häckseln, zum Holz schneiden und zum mahlen.

Von Stöveken in Altenberge wurde für unseren Motor Benzol gekauft. Unser Hille-Motor hatte ein Schwungrad von 1,8 m Durchmesser. Es wog über acht Zentner. Da es so kalt war, hatten wir immer unsere liebe Mühe, daß der Motor ansprang.

Dann haben wir von Konermann einen Motor gekauft, der bedeutend leichter und auch besser war. Er war ein Schnelläufer. Dieser Motor machte mehr als 600 Umdrehungen in der Minute, unser alter Hille-Motor schaffte nur 200 Umdrehungen. Nach dem kalten Winter 1928 fing es mit der Arbeitslosigkeit an. Bauen konnte keiner mehr. Um für mich Arbeit zu beschaffen, kam ich im April zu Arnold Raumann in Westerode-Greven. Ich war noch keine 17 Jahre und mußte alle anfallenden Arbeiten erledigen. Dafür bekam ich nur 40,-- RM im Monat. Sonst war es aber ganz gut. Ich glaube nur, wenn mein Vater gewußt hätte, daß der Bauer dem Schnaps verfallen war, hätte er mich nicht dort hin geschickt.

In den drei Jahren ist so manches Schlechte durch den besoffenen Bauern passiert. Darüber könnte ich allein ein Buch schreiben. Aber damals war ich noch zu jung, deshalb ist es mir noch nicht so zum Bewußtsein gekommen, was Alkohol anrichten kann. Wenn man eine Familie gründen will oder hat, ist es unbedingt erforderlich, vom Schnaps Abstand zu nehmen.

Als ich bei Rauhmann war, ging ich im Winter auch für 8 Wochen nach Hause zum Holzschuhmachen.

1932 wollte der Bauer mir nur noch 30,-- RM im Monat bezahlen. Daraufhin habe ich meine Arbeit dort aufgegeben und zu Hause geholfen. Arbeitskräfte konnten die Bauern mittlerweile genug bekommen. Aus dem Ruhrgebiet kamen Männer und Frauen, nur um für Essen und Trinken zu arbeiten.

Meine Schwester Mia ist am 8. Februar 1932 geboren. Ich war gerade zu Hause zum Holzschuhmachen. Meine Eltern waren zu der Zeit nicht gut zurecht. Es kam ihnen daher gut aus, daß ich da war. Meine Schwester Fine wohnte zu der Zeit bei Horstrup in Entrup.

Papa hatte den Wieskamp von Hesselmann gepachtet. Rund herum um den Kamp stand viel Brennholz. Wir durften es zum Heizen benutzen. Jede freie Stunde ging es dort hin. Papa hatte einen kleinen Wagen und ein Pony angeschafft.

Mein kleiner Bruder Ludger war immer dabei. Aber er wollte, kaum dort angekommen, immer gleich zum Spielen zu Lühring. Papa war dies nicht recht. Aber Ludger quängelte immer wieder: "Darf ich, darf ich", daß es Papa zuletzt zu viel wurde und er ließ ihn gewähren.

In der Freizeit wurde zu Hause viel Karten gespielt. Hermann Stets und Papa haben mir Skat und Doppelkopf beigebracht. Sonntagnachmittags ging es um 16.00 Uhr los bis gegen 22.00 Uhr. Zum Abendbrot gab es Wurste- und Leberbrot. Das war das Sonntagsvergnügen.

1932 bin ich mit dem Fahrrad in die alte Heimat nach Gladbeck gefahren. Unterwegs kamen mir sehr viele Männer und Frauen entgegen, um im Münsterland zu betteln und Arbeit zu suchen. Auch mein Vetter Heini kam eines Tages 1932 bei uns an und hatte keine Arbeit. Er war gelernter Anstreicher und fand daher bald bei uns in der Nachbarschaft Arbeit.

Hitler war ab 1933 an der Regierung. Ein jeder, der feste Arbeit haben wollte, mußte zuerst zum Bauern. Der Bauer bekam für jeden Knecht, den er einstellte, pro Monat 30,-- RM. Ich war ein halbes Jahr bei Herding in Westenfeld. Die Bauern haben diese Vergünstigung sehr ausgenutzt. Aber auch atles andere nur Erdenkliche wurde bezuschußt. Hitler wollte die Arbeitslosen von der Straße haben. Es wurde zu der Zeit auch viel für den Straßenbau getan.

Der Sommer 1933 war sehr trocken. Es gab kaum Wasser. Ich bin in der Lage, mit einer Wünschelrute Wasser zu suchen. Bei uns, Stets, Beckmann und Lenfort habe ich Wasser gesucht und gefunden. Alle haben auch heute noch Brunnen mit Wasser.

Winter 1933 und 1934 war ich wieder zu Hause zum Holzschuhmachen und zum Dreschen. Für das gepachtete Land von Lutte mußten wir viele Tage arbeiten. Zu den schwersten Arbeiten wurden wir Nachbarn bestellt. Für das Dreschen und Mistladen bekamen wir eine Reichsmark für den ganzen Tag. Aber dadurch wurde das Pachtland billiger. Bei vielen Bauern habe ich nur für ein paar Reichsmark gearbeitet, aber es gab gut zu essen. Papa konnte wegen seiner Kriegsverletzung keine schwere Arbeit leisten.

1934 konnte ich dann bei dem Tiefbauunternehmer Konermann in Borghorst anfangen. Die Straßenkurve bei Fastermann wurde breiter gemacht, denn hier waren sehr viele Unfälle passiert. Mit Hacke, Schaufel und Lore wurde die Erde bewegt. Unser Pony Myra hat dort am Hügel sehr viele Loren mit Erde hochgezogen. Es war eine schwere Arbeit. Aber ich war froh daß ich Geld verdiente, denn unsere Familie mit 7 Kindern kostete viel Geld. Unser Brunnen, den wir 1933 gebaut hatten, war nur 6 Meter tief. Wir konnten ihn damals nicht tiefer machen, da zu der Zeit gerade auch die Straßendecke erneuert wurde. Wenn die Dampfwalze vorbei rollte gab es im Brunnenloch eine solche Erschütterung, daß es einem Angst und Bange wurde. Wir haben schnell gemauert, damit uns der Brunnen nicht einstürzte. Im Herbst haben wir den Brunnen dann noch 2 Meter tiefer gemacht, damit wir genug Wasser hatten. Heini und Hans Voßkuhl haben fleißig mitgeholfen. Beide waren arbeitslos aus Gladbeck gekommen.

Zu Gladbeck fallen mir noch ein paar besondere Sachen ein:

Papa mußte wegen seiner Kriegsverletzung einmal im Jahr nach Coesfeld. Ich durfte meistens mitfahren, denn nach der Untersuchung ging es oft mit dem Zug weiter nach Gladbeck. Nun bestanden die Ärzte einmal darauf, er müßte eine Nacht in Coesfeld bleiben, denn sie wollten wissen, wie es mit seiner Blase und dem Wasser lassen sei. Auch dieses Mal war ich wieder mitgefahren, aber die Ärzte wollten mich nicht dabei haben. Als Papa dann sagte, er müsse mich erst nach Hause bringen, konnte ich doch bleiben und habe mit Papa zusammen in Coesfeld geschlafen. Als am anderen Tag die Ergebnisse der Untersuchung als in Ordnung befunden wurden, sind wir mit dem Zug weiter nach Gladbeck gefahren. Dort haben wir bei Onkel Heinrich gewohnt. Er wohnte auf der Bismarckstraße, direkt am Bahnhof Ost. Für mich gab es da viel zu sehen. Tag und Nacht wurden mit viel Krach die Kohlenzüge von der nahegelegenen Zeche zusammengestellt. Von Onkel Heinrich aus mußten wir quer durch die ganze Stadt, um zu Romers zu kommen, wo wir früher gewohnt hatten. Wir fuhren mit der Straßenbahn dorthin. Für Papa und mich war es ein fröhliches Wiedersehen. Die Kinder von Romers und Poschmann wollten alle einmal mit mir spielen. Dabei ist es passiert, ich bin aus der Schaukel gefallen und mit dem Kopf an die Hauswand geschlagen. Ich hatte eine tiefe Wunde am Kopf. Die Narbe kann man heute noch sehen.

Ein anderer Unfall, den ich als Kind gehabt habe, ist folgender. Mama und ich sind im Herbst mit dem Fahrrad nach Greven gefahren. An unseren Fahrradlenkern hatten wir beide Taschen mit Obst hängen. Mama kam ins Schleudern und fuhr mir ins Fahrrad. Ich stürzte und schlug mit dem Knie an die Bordsteinkante. Ich hatte eine tiefe Wunde am Knie. Leute aus der Nachbarschaft haben mir das Knie verbunden. Mit dem angeschlagenen Knie mußte ich aber noch nach Hause fahren. Das Bluten wurde immer stärker und ich bekam dadurch hohes Fieber. Papa mußte die ganze Nacht bei mir bleiben. Es hat Tage gedauert, bis ich wieder richtig laufen konnte.

Ich habe dieses erwähnt, um einmal darauf hinzuweisen, wir beschwerlich es war, von einem Ort zum anderen zu kommen. Es gab nur schlechte Straßen und Wege. Von uns zum Heitkamp bestand der Weg nur aus Wasserlöchern. Im März 1935 konnte ich bei Anton Konermann am Bau anfangen. Es war eine Hochbaufirma und hatte mit der Tiefbaufirma Konermann nichts zu tun. An sehr vielen Häusern und Scheunen und vielen anderen Bauten in Borghorst habe ich gearbeitet. 48 bis 55 Stunden in der Woche waren normal. Mit August Beckonert und Bernhard Heitmann habe ich meistens zusammengearbeitet. So manches Richtfest habe ich bei Konermann erlebt. Arthur Konermann bestellt mir heute noch Grüße. Er war damals Lehrling bei seinem Vater. Aber bei Wind und Wetter am Bau zu arbeiten, war nicht das Beste.

1938 konnte ich bei der Textilfabrik Wattendorff in Nordwalde anfangen. Dort habe ich verschiedene Arbeiten erledigt, bis ich direkt in den Betrieb kam. Die schlechte Luft in den Fertigungshallen gefiel mir überhaupt nicht.

Am 2. Juli 1938 wurde ich und auch mehrere andere Arbeiter vom Arbeitsamt Rheine zum Westwall verpflichtet. Wir mußten nach Rheine und von dort aus ging es los. Wohin wußte keiner. Wir waren ca. 16 Leute, ein Reisewagen war extra für uns bestellt. In Ludwigshafen mußten wir den Zug verlassen. Wir bekamen im Bahnhofsrestaurant unser Abendessen. Am anderen Morgen ging es mit dem Zug weiter nach Landau in der Pfalz. Das war unser Ziel. Wir aus Nordwalde, 6 Personen, kamen zum kleinen Ort Edesheim. Von dort wurden wir jeden Morgen mit dem Bus abgeholt und nach Landau zu den Bauten des Westwalls gebracht. Der Westwall sollte eine Abwehrlinie gegen die Franzosen sein. Wir waren an Bunkern beschäftigt. Stunden konnte man so viele machen, wie man wollte. Geld wurde hier gut verdient. In der Fabrik bekam ich nur 0,21 RM und am Westwall 0,72 RM pro Stunde oder je nach Arbeit noch mehr. Dazu kamen pro Tage 3,-- RM Auslöse. Davon konnte man schon leben und es war etwas ganz anderes als in der Fabrik.

Im Dezember 1938 wurden wir alle wieder in die Heimat entlassen. Bis Oktober 1939 war ich wieder in der Fabrik tätig. Im Juli 1938 lernte ich eure Mutter kennen. Es war bei einem Musikfest bei Hölscher in Nordwalde.Am 9.2.1939 haben wir hier in Nordwalde geheiratet. Mein Vater hat die Hochzeitsfeier bei sich zu Hause ausgerichtet und als Hochzeitsgabe bekam ich ein halbes Schwein mit. Unsere erste Wohnung hatten wir bei Hedwig Fleige in Nordwalde. Im Oktober wurde ich wieder arbeitsverpflichtet und zwar nach Dössei bei Warburg im Sauerland. Das Lager war in einem sehr schlechten Zustand und noch nicht bewohnbar. Die Junggesellen schliefen in den Baracken auf Stroh. Waschgelegenheiten gab es nicht. Wir mußten uns an einem Tümpel waschen. Nicht einmal Eimer oder sonstige Geräte waren vorhanden. Als wir nach dem ersten Arbeitstag abends ins Lager zurückkamen, sollte es gegen 18 Uhr Essen geben. Es wurde aber erst um 21.30 Uhr ausgeteilt. So ging es über mehrere Tage und Wochen. Die Lagerleitung wollte dieses alles beschönigen, dadurch kam es zu Krawallen mit der Lagerverwaltung. Es kam zu Ausschreitungen und das Lager wurde aufgelöst. Mein Bruder Bernhard war auch verpflichtet und war die ganze Zeit bei mir. Insgesamt waren wir dort sechs Wochen. Von da aus mußten wir uns dann beim Arbeitsamt in Rheine melden. Ich bekam während dieser Zeit zu Hause einen Stellungsbefehl. Meine Frau Martha konnte ihn nicht annehmen, weil sie nicht wußte, wo sie mich erreichen konnte. Zwei Wochen waren wir unterwegs, bis uns das Arbeitsamt Rheine mitteilte, wohin wir gehen sollten.

Am 22. Oktober 1939 kamen wir in Varrelbusch an. Es war abends um 19 Uhr. Als wir in unsere Wohnbaracken kamen, war alles kalt. Die Betten waren nicht fertig, keine Decken, kein Ofen, es fehlte an allem. Ich hatte, als wir unterwegs vom Bahnhof zu den Wohnbaracken waren, einen Ofen mit Rohren gesehen. Mit ein paar Kollegen haben wir uns diesen bei Nacht und Nebel abgeholt. Unsere anderen Zimmerkollegen hatten aus dem nahen Wald inzwischen Brennholz gesammelt und es dauerte nicht lange und es war schön warm in unserer Baracke.

Am anderen Morgen wurden wir frühzeitig geweckt. Das Frühstück gab es im Eßsaal. Danach ging es mit geschlossener Mannschaft zum Bauplatz. Erst dort sahen wir was gemacht wurde. Eine Landebahn für Militärflugzeuge wurde gebaut. Tag und Nacht wurde gearbeitet. Zehn bis zwölf Stunden am Tage waren keine Seltenheit.

Zum Zemententladen wurde ich acht Wochen bestellt. Dieses machten wir mit 7 Personen im Akkord. Wir haben damit schwer Geld verdient. Als wir am Morgen des 10. Mai zum Flugplatz kamen, waren die Militärflugzeuge da. Über unsere Köpfe hinweg wurde gestartet und gelandet. Im Nachhinein wurde gesagt, jetzt ist Frankreich dran, Polen ist besiegt. Polen wurde in 18 Tagen besiegt.

Von Varrelbusch aus wurde unser Bernhard eingezogen. In Varrelbusch habe ich auch den ersten Fliegerangriff der Franzosen erlebt. Es war morgens ganz früh. So wie wir waren, sind wir nach draußen gerannt, um uns in Sicherheit zu bringen.

Im Winter 1939/40 wurden wir im Dezember nach Hause geschickt. Unser Lohn wurde mit 70 % weiter gezahlt. Ich habe zusätzlich fast die ganze Zeit bei unserem Nachbarn Föcking in der Schreinerei geholfen. Somit habe ich mir noch manche schöne Mark dazuverdient. Wir waren jung verheiratet und konnten das Geld gut gebrauchen.

Mitte März konnte ich wieder in Varrelbusch anfangen. Doch bald war der Flugplatz nicht mehr wichtig. Eines guten Tages wurde das Lager aufgelöst und wir mußten alle zum Bahnhof nach Varrelbusch. Wohin die Fahrt dann ging wußte keiner. Über Oldenburg waren wir am späten Nachmittag in Hannover. Alle mußten aussteigen und wir standen eine ganze Weile auf dem Bahnhof in Hannover. Es kam dann jemand und machte Vorschläge, wohin wir wollten. Es gab die Wahl zwischen Wolfsburg und Rhein-Metall in der Lüneburger Heide. Mit dem nächsten Zug ging es in Richtung Celle. Ich hatte mich für Rhein-Metall entschieden. Am nächsten Tag mußten wir mit dem Zug nach Unterlüß zum Werk Rhein-Metall Borsig. Geschützdonner war in der Ferne zu hören. Da wußten wir was auf uns zukam. Ein Schießplatz und Rüstungsbetrieb. Dort war ich bis zum Ende des Krieges. Ich bin bei Rhein-Metall im Eisenbahnbetrieb gewesen und habe es dort bis zum Lokführer gebracht. Wenn ich alle Erlebnisse aufschreiben wollte, dann wäre es eine Sache für sich. Nur kurz möchte ich von den Fliegerangriffen berichten.

Einmal erlebte ich einen Tieffliegerangriff im Bahnhof Unterlüß. Ein Heizer und ein Rangierer wurden verletzt. Der Flieger wurde von der Zugwacht abgeschossen. Das Flugzeug stürzte brennend im Wald ab. Der englische Pilot kam mit dem Fallschirm ganz in meiner Nähe herunter. Er war unverletzt. Die Luftangriffe wurden immer mehr. Fast jeden Tag konnten wir hunderte von Bombern über uns hinweg ziehen sehen. Sie griffen die Orte Hamburg, Hannover, Wolfsburg, Leipzig und Dresden an. Von den Bränden in den Städten zogen schwarze Qualmwolken über uns hinweg.

Durch die Firma Rhein-Metall hatte ich eine schöne Neubauwohnung bekommen. Es war im Januar 1945, da konnte ich einziehen. Nun wollte ich meine Familie herüberholen. Aber für die Fahrt mit dem Zug mußte man sich eine Genehmigung von der Wehrmacht holen. Ich mußte deswegen nach Uelzen. Am 8. Januar war es dann soweit. Ich konnte nach Nordwalde fahren. Ich war morgens von Unterlüß abgefahren und kam erst spät am Abend in Rheine an. Der Bahnhof in Rheine war gar nicht mehr zu benutzen. Wir fuhren durch bis Salzbergen und konnten dort irgendwo im freien Gelände aussteigen. Es war Nacht und wir wurden in einer Gaststätte untergebracht. Am anderen Morgen wurde bekannt gegeben, es würden keine Züge mehr fahren. Ich habe meine Sachen genommen und bin zu Fuß losgegangen, über Rheine, Mesum, Emsdetten. Ich war kaum hinter Rheine, da hat es nur noch geregnet. In Emsdetten, in einer Gaststätte, bekam ich Kaffee. Der alten Frau, die mich so freundlich bedient hat, könnte ich heute noch danken. Von hier aus konnte ich in Nordwalde bei Ströhmann anrufen. Martha und ein Sohn von Hülsmann kamen mir entgegen und holten mich ab. Am Sägewerk mußten wir zum Schutz vor Fliegerangriffen in den Graben. Zum Glück sind die Bomben in Lintelsbrook gefallen. Ich war noch keine paar Tage zu Hause, da bin ich an Grippe erkrankt. Ich habe mich bei Rhein-Metall krank gemeldet. Nach der Grippe bekam ich Geschwüre im Nacken und an den Armen. Dies war so schlimm, daß ich mir nicht allein helfen konnte.

Die Kriegsfront kam immer näher. Ich war noch einmal in Rheine am Bahnhof, aber es fuhren keine Züge mehr. Die Tiefflieger kamen auch immer öfter. Somit mußte ich zu Hause bleiben. Es dauerte auch nicht mehr lange, und der Krieg ging zu Ende. Ich habe es miterlebt, wie der Feind in Nordwalde einzog und weiterzog zum Osten. Alle waren froh, daß der Krieg zu Ende war. Gott sei Dank war hier in Nordwalde nicht so viel passiert.

Unsere erste Aufgabe nach dem Kriegsende war es, die Panzersperren wegzuräumen. Hierzu wurden wir von den Engländern beauftragt. Es dauerte nicht lange und wir wurden zu Ausbesserungsarbeiten an der Grevener Straße durch das Militär und die Gemeindeverwaltung herangezogen.

Mit einem Militärfahrzeug der Engländer bin ich sehr oft von Coesfeld nach Borken zum Bahnhof gefahren und habe dort Schotter abgeholt. In Coesfeld war zu sehen, was die feindlichen Bomber alles zerstört hatten. Keine Straße und kein Haus waren mehr unversehrt.

Im Juli 1945 war es dann soweit, daß ich mit dem Zug nach Unterlüß fahren konnte. Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß Güterzüge über Steinfurt nach Hamburg und von dort nach Unterlüß fuhren. An einem Morgen hat mein Bruder Ludger mich zum Bahnhof nach Steinfurt gebracht. Es dauerte nicht lange und es kam ein Güterzug. Der Lokführer bremste den Zug ab und ich hatte die Möglichkeit aufzusteigen. Schon ging die Fahrt in Richtung Rheine - Osnabrück. In Osnabrück kam ein englischer Soldat und fragte mich, was ich hier wollte. Ich gab ihm die Auskunft, daß ich den Auftrag hätte, eine Depesche nach Hamburg zu bringen. Da war alles in Ordnung.

Gegen17.00 Uhr war ich in Hannover. Auf dem gegenüberliegenden Gleis stand ein Zug nach Hamburg, in den ich eingestiegen bin. Ein Eisenbahner kannte mich von Unterlüß her. Der Lokführer gab an, daß er so langsam fahren wollte, damit ich in Unterlüß aussteigen konnte. Im Zwiedunkel kam ich in Unterlüß an. Der Bahnhofsvorsteher nahm mich am Bahnhof in Empfang. Er erkannte mich sofort. Er nahm mich schnell mit in das Bahnhofsgebäude, denn der Bahnhof wurde von fremden Soldaten bewacht. An einem Tisch im Bahnhof habe ich die Nacht verbracht. Der Bahnbeamte gab sich die Mühe und erzählte mir alles, was in Unterlüß während meiner Abwesenheit passiert war. Die meisten Einwohner mußten Ihre Wohnungen und Häuser verlassen. Auch die Familie Albrecht mußte wegen der Besatzung Unterlüß verlassen und wurde in Secklendorf untergebracht. Es liegt acht Kilometer hinter Uelzen. Zu der Familie Albrecht hatte ich wahrend der gesamten Zeit in Unterlüß einen sehr guten Kontakt. Sie haben während meiner Abwesenheit auf meine Wohnung aufgepaßt und haben auch einen Teil meiner Sachen mit nach Secklendorf genommen und sichergestellt.

Als ich in das Lager in Unterlüß kam, kamen mir die Mitarbeiter, es waren Polen, entgegen. Die Polen waren alle zum Arbeiten in Deutschland verpflichtet worden. Ich hatte zu den Polen immer ein gutes Verhältnis und so wollten sie sich mit aller Gewalt bei mir bedanken. Sie wollten mir ein Fahrrad schenken. Ich habe es aber abgelehnt.

Als ich endlich genau wußte, wo die Familie Albrecht nun wohnte, bin ich mit dem Zug nach Uelzen gefahren. Von dort bin ich zu Fuß nach Secklendorf gegangen.

Familie Albrecht war in einem alten Viehstall untergebracht. Das Erstaunen bei der Familie war groß, denn sie hatten nicht mit meiner Rückkehr gerechnet. Es waren ja auch 7 Monate vergangen, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Einige Nächte konnte ich bei Ihnen verbringen. Familie Albrecht wußte auch, wo meine Sachen geblieben waren. Das Fahrrad war in der Nähe unter Stroh in einem Schuppen versteckt. Ich habe es fahrbereit gemacht und so konnte ich wieder damit fahren. Der Familie Albrecht habe ich noch geholfen, Brennholz aus dem Wald zu holen. Sie waren eine arme Familie geworden. Trotzdem wurde ich gut aufgenommen. An einem Tag, als das Wetter gut war, sind wir mit dem Fahrrad nach Unterlüß gefahren, um meine anderen Sachen zu holen. Die Sachen fanden wir bei Albrechts in der alten Wohnung gut verpackt auf dem Boden wieder. Ein Engländer gab uns die Erlaubnis, daß wir das Haus betreten durften. Als ich alles zusammengepackt hatte, sind wir gleich mit dem Rad nach Uelzen gefahren. Einen Tag noch bin ich in Secklendori geblieben. Am anderen Tag bin ich sehr früh nach Uelzen gefahren, um einen Zug nach Münster auszumachen. Ich war kaum am Bahnhof, da wollte schon ein Güterzug in Richtung Hannover abfahren. Der ganze Zug war mit Flüchtlingen gefüllt, die alle Richtung Westfalen wollten.

Die Leute auf dem Zug halfen mir, meine Sachen aufzuladen, damit ich auch noch mitfahren konnte. Kaum war alles verstaut, da ging die Fahrt auch schon los. In Minden ging es über die Notbrücke, die über die Weser gebaut war. Man bekam richtig Angst wenn es wackelte und schwankte. Der Zug kam um 16.00 Uhr in Münster an. Anhalten durfte er im Bahnhof Münster nicht. Der Lokführer fuhr so langsam, daß die Leute aussteigen konnten. Die Mitreisenden halfen mir, daß ich meine Sachen mitbekam.

Die Stadt Münster sah verheerend aus. Alles war in Schutt und Asche gelegt.

Ich habe schnell mein Fahrrad genommen und bin nach Hause gefahren. Man hatte mir geraten über die B 54 zu fahren. Anderswo wäre es wegen der Plünderer zu gefährlich. Meine Frau war ganz überrascht, daß ich wieder zurück war, denn sie hatte 14 Tage nichts von mir gehört. Auch ich war froh nun wieder daheim zu sein.

Nun mußte ich mich darum bemühen, eine Arbeit zu finden. Ich bin mit dem Rad nach Münster gefahren und habe mich bei der Bundesbahn gemeldet. Ich möchte aber noch einmal ausführlicher über Unterlüß schreiben.

Im Mai 1940 kamen wir vom Flugplatz Varrelbusch mit dem Zug in Suderburg in der Lüneburger Heide an. In einem Saal einer Gastwirtschaft wurden wir behelfsmäßig untergebracht. Von Suderburg aus fuhren wir am anderen Morgen zum Arbeitseinsatz nach Unterlüß. Es war ca..15 Kilometer von Suderburg entfernt. Von weitem schon hörte man das Ballern der Geschütze. Wir waren auf einem Schießplatz der Firma Rhein-Metall Borsig AG angekommen. Ich wurde mit Heinz Becker aus Wilmsberg zum Eisenbahnbetrieb zum Lokschuppen gebracht.

Der Leiter des Betriebes, Herr Bullerjahn, nahm uns in Empfang. Heinz Becker und ich wurden als Rangierer eingewiesen. Nach vier Wochen wurde ich schon als Heizer ausgebildet. Als ich eine Zeit lang Heizer war, konnte ich die Lokführerprüfung machen. Ein Eisenbahnbeamter aus Hannover nahm die Prüfung ab. Nachdem ich die Prüfung bestanden hatte, war ich zum Führen von Dampf und Dieselloks zugelassen. Es hat mir viel Freude gemacht. Dieses alles verdanke ich unserem Betriebsleiter, Herrn Bullerjahn. Viele Schlosserarbeiten habe ich von ihm erlernt. Unter seiner Anweisung nahm ich eine Dampflok auseinander und baute sie wieder zusammen. Wie viele Stunden man im Lokbetrieb machen wollte, spielte keine Rolle. Dadurch habe ich viel Geld verdient. Es kommt mir heute bei meiner Rente noch zugute.

Noch ein Wort zu Herrn Bullerjahn. Er kam gebürtig aus Pösen. Er war schon lange als Eisenbahner bei Rhein-Metall tätig. Obwohl er schon über 60 Jahre alt war, machte er täglich seinen Dienst. Ich habe ihm sehr vieles zu verdanken, Wir hatten auch Polen in unserem Betrieb beschäftigt. Herr Bullerjahn konnte sich gut mit ihnen in Polnisch unterhalten. Als es mir möglich war, habe ich Herrn Bullerjahn nach dem Krieg in Unterlüß besucht. Er war völlig überrascht und hat sich sehr gefreut, denn damit hatte er nicht gerechnet. Wir haben viel über die alten Zeiten geredet. Eines lag ihm besonders auf der Seele. Er sagte zu mir: "Willi du warst doch auch kein Nazi. Was hast du eigentlich von mir gedacht?"

Auch habe ich im Juli 1945 unsere polnischen Mitarbeiter wiedergetroffen. Als ich dann später noch einmal versucht habe, mit ihnen Verbindung aufzunehmen, ist es mir nicht gelungen.

Besonders meinen Heizer, Jurek Dombrowolski, aus Warschau, hätte ich gern wiedergesehen. Aber durch das Rote Kreuz bekam ich eine Absage.

Weitere Versuche seien zwecklos.

Am 1.0ktober 1945 konnte ich beim Bundesbahnbetriebswerk in der Schlosserei anfangen. Fast 29 Jahre bin ich dort gewesen. 1952 bin ich krank geworden. Durch einen Schlag mit der Schraubenkupplung bekam ich ein dickes Knie und mußte ins Krankenhaus. Insgesamt war ich 16 Monate krank, davon war ich 5 Monate in Davos zur Erholung. Der Zeitpunkt war schlecht gewählt, denn ich baute zur Zeit mein Haus und konnte nun keine Eigenleistung am Bau erbringen. Nach meiner Genesung konnte ich eine leichtere Tätigkeit bei der Bahn wieder aufnehmen. Doch zwischenzeitlich war es schon so, daß bei der Bahn zu viele Leute beschäftigt waren. Ich mußte in Reisezügen die Reklameschilder in Ordnung bringen. Eine Zeit lang war ich auch im Betriebsdienst tätig und die letzten 10 Jahre verbrachte ich wieder in der Werkstatt.

Unser Haus war noch lange nicht fertig, als ich ins Krankenhaus nach Münster kam. Meine Frau Martha mußte sich sehr anstrengen, um alle die Arbeiten zu erledigen. Besonderen Dank muß ich dem Hochbauamt in Steinfurt sagen, sie haben uns sehr unterstützt. Hiervon könnte ich noch vieles mehr erzählen. Neben dem Krieg und der Arbeit möchte ich aber auch noch über meine Familie berichten. Wie ich schon kurz erwähnte, habe ich meine Frau Martha bei einer Veranstaltung unseres Gesangvereins bei Hölscher kennen gelernt. Es war im Jahr 1938. Geheiratet haben wir im Februar 1939. Mein ältester Sohn Werner wurde im gleichen Jahr geboren. Der zweite Sohn Ewald kam Ende 1940. Meine Tochter Agnes wurde Ende 1945 geboren. Es folgten noch mein Sohn Alfred im Februar 1947 und Norbert wurde im Juli 1952 als letztes Kind geboren.

Dadurch, daß ich selten zu Hause war, lastete die meiste Arbeit auf den Schultern meiner Frau. Sie hat sich sehr bemüht und aus allen Kindern ist etwas Anständiges geworden. Heute sage ich des öfteren zu meinen Kindern, für das, was eure Mutter alles für euch getan hat, ist sie auf Erden nicht belohnt worden.

1965 habe ich den Führerschein gemacht. Dadurch fing für uns ein schönes Leben an. Unseren ersten Urlaub machten Martha und ich in St. Blasien. Unser Werner war dort zur Kur und wir haben ihn 8 Tage dort besucht. Wir sind mit dem Zug dorthin gefahren.

Ein Jahr darauf waren wir 3 Wochen im Erholungshaus in Seebrugg im Schwarzwald. Seit ich den Führerschein besaß, wurde fast an jedem Wochenende eine Fahrt gemacht. Überall dorthin wie es Martha gerade einfiel. Wir waren z. B. in Lingen, Sögel, Wolfsburg, am Steinhuder Meer, im Sauerland und an vielen sonstigen schönen Stellen.

Die letzte Fahrt mit Martha war zum Vogelpark nach Walsrode. Es war an einem Sonntag und am kommenden Dienstag, den 24.07.1973, ist sie dann gestorben. Ihr Tod kam für mich ganz plötzlich und überraschend, daß ich mich nicht einmal richtig von ihr verabschieden konnte. Sie ist jetzt, wo ich dieses aufschreibe, schon 23 Jahre tot.

Von 1945 bis 1973 war ich bei der Bundesbahn in Münster. Im April 1973 wurde ich in den Ruhestand entlassen. Nun, da ich diesen Bericht schreibe, bin ich schon über 23 Jahre Rentner. Ich habe viele Hobbys und dadurch kenne ich auch keine Langeweile. Die meisten Arbeiten, die im und um das Haus herum vorkommen, kann ich z. Zt. noch selber machen. Und ansonsten beschäftige ich mich mit Teppiche knüpfen, Windmühlen bauen, im Garten arbeiten und noch vieles mehr. Vor allem halte ich unsere Fahrräder in Ordnung. So vergeht ein Tag nach dem anderen.

Heute wohnen wir schon über 45 Jahre auf dem Meisengrund 14. Seit nunmehr 24 Jahren bin ich schon mit Hilde Niewöhner in zweiter Ehe verheiratet. In dieser Zeit haben wir sehr viele Urlaubsreisen gemacht und wir haben noch nie Schwierigkeiten miteinander gehabt.

Auch meine Geburtstage 65, 70 und 80 Jahre haben wir groß gefeiert. Auf meinem 80. Geburtstag (1993) war der Spielmannszug Feldbauerschaft anwesend und hat aufgespielt. Die Nachbarn und Bekannten haben zugehört. Mit meiner jetzigen Frau Hilde bin ich viel gereist, doch davon möchte ich später etwas ausführlicher berichten. Wenn wir noch gesund bleiben, kommen bestimmt noch einige Fahrten dazu.

Einzelne Tage im Jahr verbringen wir in Menden-Lendringsen, wo mein Sohn Norbert mit seiner Frau Mechthild und den Kindern Andreas und Johannes wohnt. Wir fahren auch oft nach Coesfeld, wo Carola mit ihren Kindern Carolin, Marion und Thomas wohnt.

Aber die Familie wird auch schon wieder kleiner. Unser Werner ist seit dem 14. Mai 1995 tot. Meine Eltern sind schon lange verstorben, mein Bruder Bernhard ist im Januar 1942 in Orel in Rußland gefallen und meine älteste Schwester Fine ist auch schon über 5 Jahre tot. Ja, auch so mancher aus dem Bekanntenkreis lebt nicht mehr.

Aber auch wir werden langsam älter. Unsere Autofahrten werden weniger. Zwei Mal in der Woche gehe ich zum Kartenspielen. Hier in Nordwalde spielen wir im Altenheim und in Altenberge im Karl-Leißner-Haus.

Bis 1980 habe ich auch noch bei Kerkhoff gespielt und 1998 bei Echterhoff Doppelkopf. Mitgespielt haben mein Bruder Ludger, Albert Abeler, Bernhard Lembeck, Josef Heitmann, Franz Schapmann, Ludger Drunkemühle, Ludger Feldmann, Paul Lutte und seine Frau Mechthild und noch viele verschiedene andere. Eine kurze Zeit nur spielte auch Franz Lütke-Siestrup mit. Nun spielen wir zwei Mal im Jahr in unserer Familie. Ich habe einen Pokal gestiftet. Der beste Spieler an dem Tag, wenn wir zusammen sind, bekommt den Pokal. Zum nächsten Termin bringt er ihn wieder mit und das Ausspielen beginnt von Neuem.

Die Geschichte mit meinem Bruder Bernhard möchte ich noch besonders erwähnen. Bernhard war im Herbst 1944 zu Hause auf Urlaub gewesen. Auf der Rückfahrt mußte er zur Insel Rügen und somit hatte er die Gelegenheit, bei mir in Unterlüß vorbeizukommen. Eine Nacht war er zum Schlafen bei mir. Am anderen Tag abends habe ich ihn mit dem Zug nach Uelzen gebracht und seit dem habe ich ihn nicht wiedergesehen. Bernhard ist dann bald im Osten bei Orel gefallen. Beim Abschied auf dem Bahnhof in Uelzen habe ich ihn noch auf die Gefahren des Soldatenlebens hingewiesen. So ist es auch gekommen.

Mit Dank denke ich noch an die paar schönen, letzten Stunden zurück, die ich noch mit ihm haben konnte.

Seitdem ich die letzten Zeilen zu meiner Lebensgeschichte aufgeschrieben habe, ist schon wieder einige Zeit vergangen. Doch ist mir noch Einiges eingefallen, das ich erwähnen möchte.

Die beschriebenen Arbeiten im Haus und im Garten kann ich nicht mehr alle erledigen. Was ich noch gut kann, ist Auto fahren. Bei allen Fahrten ist meine Frau Hilde eine gute Begleiterin.

Im Juli 1999 waren wir mit dem Auto 6 Tage im Thüringer Wald in dem Ort Fischbach. Die Fahrt hin und zurück war wunderschön.

Danach waren wir schon wieder in Kellenhusen an der Ostsee. Es waren ein paar schöne Urlaubstage.

Urlaub habe ich von dem Zeitpunkt an, wo es mir möglich war, gemacht. Nun möchte ich von einigen Urlauben und Kuren berichten.

Unsere erste Urlaubsfahrt ging nach Cochem an der Mosel. Wir sind von hier aus über die Sauerlandlinie dann an der Mosel entlang bis nach Cochem gefahren. Von dort fuhren wir auch mit dem Auto nach Trier und haben uns den Dom angesehen. Die Tage waren sehr heiß mit Temperaturen um die 30 Grad.

Von unserer Hochzeitsreise möchte ich auch noch berichten. Wir sind mit dem Auto über Basel, Zürich, am Züricher See entlang, nach Davos gefahren Eine Nacht haben wir am Züricher See verbracht. Am anderen Tag ging es weiter über Landquart, Klosters, Wolfgang nach Davos. Hier waren wir 7 Tage Von Davos aus haben wir Ausflüge in alle Richtungen unternommen. Teils mit dem Auto, teils mit der Bahn. Der schönste Ausflug war von Davos über St. Moritz nach Diavolezza. Mit der Schwebebahn waren wir hoch auf dem Berg. Er war 4000 Meter hoch. Für uns beide war es ein unvergeßliches Erlebnis. Erwähnen möchte ich noch, daß an einem Morgen über Nacht mehr als 10 Zentimeter Schnee gefallen waren und das im August.

Da ich 1952 in Davos zur Kur gewesen bin, kannte ich den Ort und die Umgebung schon und war somit in der Lage, Hilde alles Schöne zu zeigen. Das Wetter war durchschnittlich schön.

Ein anderer Urlaub führte uns nach Seefeld in Tirol. Wir haben auch Innsbruck besucht und das goldene Dach besichtigt. Auch in Seefeld hat es uns gut gefallen.

Die Reise nach Meran haben wir durch die Bahntouristik gebucht. Unser Quartiergeber holte uns schon am Bahnhof ab. Wir machten sehr viele Spaziergänge. In Erinnerung sind uns noch die schmalen Wege oben in schwindelnder Höhe an den Mutshöfen entlang. Auch den Meraner Markt, der jeden Freitag stattfindet, haben wir besucht. Hilde und ich, wir waren dreimal dort. Aber jedes Mal hat es mächtig geregnet. Von dort die Fahrt zum Gardasee war sehr schön. Es war zu der Zeit, als das Obst reif wurde. Die großen Obstplantagen sind immer noch eine schöne Erinnerung. Aber jeder Urlaub geht einmal zu Ende.

Unser Werner hatte auf Borkum eine Ferienwohnung in der Bismarckstraße gekauft. Wir waren dreimal in Werners Wohnung. Mit dem Fahrrad haben wir die Insel mehrere Male durchstreift. Einmal habe ich auch die Wohnung neu gestrichen. Es gab auch andere interessante Erlebnisse. Besonders wenn es ein Gewitter gab. An so einem Tage kamen wir gerade am FKK Strand entlang. Alles suchte einen Unterschlupf vor dem Gewitterregen.

Auf Borkum haben wir uns immer gut erholt. Wir fuhren mit dem Zug nach Emden-Hafen und dann mit dem Schiff nach Borkum. Vom Hafen fuhr eine kleine Bahn bis zum Ort. Dies war immer ein besonderes Erlebnis. Auch Windstärke 10 bis 12 haben wir dort erlebt. Borkum ist immer eine Reise wert.

Zweimal waren wir auf der Insel Sylt in Westerland. Wir wohnten dort in Privatunterkünften. Die ganze Insel haben wir mehrmals durchwandert. Wir waren im Juli auf Sylt und es war so kalt, ich mußte mir eine Mütze kaufen. Die Temperaturen überstiegen 5 - 7 Grad nicht und dann noch der starke Wind.

Auf dem Nachhauseweg sind wir über Laboe gefahren. Wir haben ein U-Boot besichtigt. Ober Oldenburg in Schleswig ging es dann nach Hause. Auf dem Heimweg war es wieder sehr warm 25 bis 30 Grad. Wir waren auch noch am Plöner See und haben dort Bekannte, die wir vom Schluchsee her kannten, besucht. Es waren schöne Tagen, die wir verleben durften. Mindestens dreimal waren wir am Schluchsee. Wir sind mit dem Auto und auch mit dem Zug hingefahren. Einmal hatte Hilde nach ihrer Bandscheibenoperation dort eine Kur gemacht. Vom Schluchsee aus haben wir Fahrten unternommen. Bern, Grindelwald und mehrere andere Orte haben wir besucht. Auch unsere Wanderung um den Schluchsee konnten wir nicht vergessen. Aber alle Erlebnisse aufzuschreiben würde zu viel. Hilde und ich haben immer schöne Erlebnisse gehabt.

Am Schluchsee hatten wir immer eine Wohnung, die Werner gehörte. Nach ein paar Jahren hat er sie wieder verkauft, wie auch die Wohnung auf Borkum. Bei meinem Kuraufenthalt in Bad Driburg war ich im Haus Dreilinden von der Bahn, direkt am Bahnhof von Bad Driburg, untergebracht. Hilde war bei mir und hat mich besucht. In meiner freien Zeit sind wir in Driburg und Umgebung viel gewandert. Die Gegend war wunderbar. Schnell sind die vier Wochen herumgegangen. Es war um die Osterzeit. Leider nahm meine Kur kein gutes Ende. Am Gründonnerstag bekam ich Nachricht, daß Hilde im Krankenhaus in Greven lag. Am gleichen Abend bin ich, nachdem ich mich mit der Kurverwaltung auseinandergesetzt hatte, früher als geplant, nach Hause gefahren.

Um 22.00 Uhr kam ich im Grevener Krankenhaus an. Hilde war ganz überrascht, als ich plötzlich in der Tür stand. Aber nach ein paar Tagen war Hilde wieder auf dem Wege der Besserung.

Für meinen Kuraufenthalt in Bad Nenndorf hatte ich von der Bahn ein Kurgenehmigung bekommen. Der Aufenthalt dort war immer eine gute Erholung.

Die Bäder versprechen eine gute Wirkung besonders für Rheuma und andere Gliederschmerzen. In kürzester Zeit fand man Leute, mit denen man Spaziergänge und sonstige Freizeitbeschäftigungen unternehmen konnte.

Zu unserem Ferienaufenthalt in Braunlage sind Hilde und ich mit dem Zug gefahren. Es ging über Hannover, Wolfenbüttel, Bad Harzburg und von dort mit dem Bus nach Braunlaqe. Wir waren im Deutschen Haus unterqekommen. Auch hier sind Hilde und ich viel gewandert, zweimal sogar zum Wurmberg. Vom Berg aus hatte man einen guten Blick zum Brocken. Vom Berg herunter liefen die Skifahrer. Es war herrlich anzusehen, wie sie den Berg hinuntersausten. Schöne Spaziergänge waren auch zur Fuchsfarm an der Ostgrenze.

Die Fuchsfarm war eine Gaststätte, die viel besucht wurde. Wenn zum Essen Fisch bestellt wurde, kam die Frage, ob der Fisch aus dem Osten oder dem Westen sein sollte. Die Grenze verlief hier genau durch die Mitte des Fischteiches. Es war eine sehr alte Gaststätte. Strom wurde mit einem Dieselmotor erzeugt. Aber das Essen war hervorragend. Als wir ein paar Jahre später in Bad Sachsa waren, haben wir die Gaststätte wieder einmal besucht. Sie war inzwischen ganz neu renoviert.

Unser Aufenthalt in Braunlage lag um Neujahr. Es war so ein richtiger Winter mit 30 cm Schnee und immer sehr kalt. Der Aufenthalt von 10 Tagen hat uns viel Freude und Erholung gegeben. In Braunlage haben wir auch die Familie Friedach aus Rorup kennengelernt. Familie Friedach besitzt eine Gaststätte in Rorup. Hilde und ich waren schon mehrere Male dort. Wir wurden immer freundlich aufgenommen.

Hilde und ich hatten von der Bahn eine Kur in Bad Sachsa bekommen. Wir sind mit dem Auto hingefahren. Es ging von hier über Warendorf, Rheda, Paderborn, Bad Driburg, Osterade. Der Aufenthalt in Bad Sachsa war sehr angenehm. Im Kurhaus wurde für die Patienten viel getan. Hilde und ich haben den Aufenthalt sehr genossen. Wir haben dort eine Familie aus Bibisheim kennengelernt. Es war auf der Fahrt nach Naudes.

Auch in Festenburg im Harz waren wir schon. Mit einer Familie aus Essen waren wir viel zusammen. Viele Orte im Harz haben wir wieder besucht. An die Geschichte mit dem Oberförster denke ich oft und gern zurück.

Mit dem Auto befand ich mich auf einem Waldweg. Ein Spaziergänger wollte mir die Weiterfahrt verbieten. Als ich dann näher kam und er sah, daß ich meinen Jägerhut und meinen Lodenmantel im Auto anhatte, fragte er: " oder sind sie der Förster?" Meine Antwort lautete: "Ich bin der Oberförster." Daraufhin hat er sich bei mir entschuldigt.

Vor 14 Tagen hatten wir unser 50-jähriges Straßenfest. Somit wohnen wir schon 50 Jahre auf dem Meisengrund 14. Über so manche schöne aber auch nicht so gute Zeit wäre zu berichten.

Sehr viele Nachbarn sind in der Zwischenzeit verstorben. Mit meinen nun schon fast 88 Jahren bin ich der Älteste auf dem Meisengrund. Lange Jahre war es hier eine kinderlose Straße. Das hat sich in den letzten Jahren sehr geändert. Jetzt haben wir durch die jungen Eheleute schon 15 Kinder, die die Straße auch zum Spielen nutzen. Früh morgens, wenn wir noch im Bett liegen, gehen die Kinder schon los zur Schule oder in den Kindergarten. Was hat sich das Leben gegenüber früher verändert. Einen Kindergarten kannten wir gar nicht.

Durch einen plötzlichen Tod ist unser Nachbar Gerhard Bosch im Alter von 73 Jahren am 14. Februar 2000 gestorben. Alle Bewohner vom Meisengrund haben sich an der Beerdigung beteiligt.

So geht die Zeit immer weiter. Wir haben schon wieder in der Zeit vom 17. bis 23. Oktober 2000 in Bad Elster Urlaub gemacht. Bad Elster liegt an der Grenze nach Tschechien. Die Ortschaft war sehr schön. Wir haben gute Tage erlebt, aber für mich war es sehr beschwerlich. Langsam merke ich, dar. ich nicht mehr so gut laufen kann. Trotzdem bin ich noch gut zufrieden.

Alles Gute habe ich auch meiner Frau Hilde zu verdanken. Wenn es mir bzw. uns gesundheitlich weiter so gut geht, hofften wir noch einige Jahre zu leben. Im Grunde leben wir sehr sorgenfrei. Vielleicht ergibt es sich auch und ich kann meine Lebensgeschichte noch ergänzen bzw. erweitern. Es ist doch noch sehr vieles mehr in Erinnerung, aber das Schreiben fällt mir nicht mehr so leicht.

Zum vorerst guten Schluß fallen mir noch einige Gewittererlebnisse ein, die mir noch sehr lebendig im Gedächtnis geblieben sind. Dazu muß ich allerdings sehr weit in der Zeit zurückgehen.

Es war im Jahre 1932. Ich war hinter Hilsing in Westerode mit dem Fahrrad unterwegs, als plötzlich ein Gewitter aufkam. Als ich in der Nähe einer Eiche war, schlug der Blitz dort ein. Ich fiel fast vom Fahrrad.

Das zweite Erlebnis passierte zu Hause. Wir saßen zum Abendessen am Tisch. Mama ging in den Keller um Stippmilch zu holen. Als sie am KeIlerfenster stand, schlug der Blitz in den Blitzableiter, der am Kellerfenster entlang ging. Kreidebleich kam Mama aus dem Keller, die Stippmilch hatte sie vergessen. Von dem heftigen Knall bin ich fast vom Stuhl gefallen.

Ein anderes Mal war ich mit unserem Pony Myra von der Baustelle bei Fastermann unterwegs. Es gab ein kurzes Gewitter und schon schlug der Blitz in eine Eiche ein, die nicht weit vom Straßenrand entfernt stand. Unser Pony sprang vor Schreck zur Seite und hätte mich fast vom Fahrrad geworfen

Pfingsten 1932 gab es ein schweres Gewitter mit Hagel und Wolkenbruch. In kürzester Zeit waren alle Wiesen und Felder überschwemmt. Meine Schwester Fine und ich waren bei unserem Nachbarn Janning. Auf dem Nachhauseweg mußten wir bis an die Knie durch das Wasser. Bei jedem Knall schlug der Blitz in die Eiche in der Nähe von Lutte ein, so daß es uns Angst und Bange wurde.

In der Zeit, als ich zu Hause war, kann ich mich entsinnen, wie drei Blitzeinschläge gezündet haben. Im Jahre 1920 war es die Scheune bei Hagemann, 1927 das Kötterhaus Kleine-Brinkhaus, 1932 das Kötterhaus Laumann und 1937 schlug es bei Wahlers ein.

Von Wahlers möchte ich ausführlicher schreiben. Ich kam mit dem Fahrrad von der Arbeit. Als ich in der Nähe von Beckmanns Wiese war, plötzlich ein Blitzschlag und es hatte in Wahlers Haus eingeschlagen.

Ich war noch nicht einmal zu Hause angekommen, als ich sah, wie Qualm bei Wahlers hochstieg. Von uns bis zu Wahlers sind es höchstens ein Kilometer. Wir sind sofort losgelaufen. Als wir ankamen, stand das ganze Haus schon in hellen Flammen. Es kam auch gleich die Feuerwehr aus Nordwalde, die ich von Luttes Telefon aus angerufen hatte. Aber sie konnten vom Haus nicht mehr viel retten, denn die Feuerwehr war damals noch nicht so gut ausgestattet wie heute.

Auch Munsch in Westerode ist durch einen plötzlichen Blitzeinschlag abgebrannt. Das Erlebnis habe ich auch von Ferne mit angesehen.

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Vielleicht bin ich in den nächsten Jahren noch in der Lage, meinen Lebensweg weiterhin aufzuschreiben.